«Das ist der Reiz der Commons als ‹Kleinform einer neuen Gesellschaft›, weil sie für eine Macht stehen, die von unten statt vom Staat kommt und auf Kooperation und kollektiver Entscheidungsfindung anstatt auf Zwang beruht. In diesem Sinne schwingt in den Commons die Einsicht von Audre Lorde mit, dass ‹die Werkzeuge der Herren niemals die Häuser der Herren demontieren werden› [...]» Silvia Federici, Die Welt wieder verzaubern (2021)
Woran denken wir, wenn wir den Begriff «Common Ground» hören oder ihn als Titel dieser Ausstellung lesen? Vielleicht ruft er das Bild eines gemeinschaftlichen Territoriums hervor, in dem Arbeit und Ressourcen fair verteilt sind und Vorstellungen von Staats- oder Privateigentum nicht länger greifen. Doch wie kann ein solcher Ort in unserer kapitalistischen und schnell getakteten Welt überhaupt noch möglich sein? Mit dieser Frage setzt sich die italienische Philosophin Silvia Federici auseinander. Mit dem Begriff der «Commons» plädiert sie für Räume, die sich jenseits dominanter Produktions- und Konsumlogiken bewegen; für Räume also, die zur «Kleinform einer neuen Gesellschaft»1 werden können. Dieses Potenzial sieht sie beispielsweise im Aufbau urbaner Gärten. In ihrem Buch Aufstand aus der Küche zeichnet sie nach, wie solche Gärten in den Vereinigten Staaten bereits in den 1980er- und 1990er-Jahren aufgebaut und durch die Initiative marginalisierter und migrantischer Communities überhaupt erst möglich wurden. Laut Federici sind es genau solche Orte, welche die Voraussetzung für neue Formen der Teilhabe schaffen, indem sie zu «Zentren der Gesellschaftlichkeit, der Wissensproduktion sowie des kulturellen und intergenerationellen Austausches»2 werden. Nicht zuletzt geben urbane Gärten auch Ernährungssicherheit, indem für den Verbrauch im Stadtviertel produziert wird und nicht für kommerzielle Zwecke. Im Rahmen einer Subsistenzwirtschaft kann auch Arbeit neu verteilt und die Trennung zwischen bezahlter Erwerbsarbeit und unbezahlter Sorgearbeit grundsätzlich infrage gestellt werden. Folglich sieht Federici die Politik der Commons als Revolution in den Beziehungen zu uns selbst und zu anderen. Als Denk- und Möglichkeitsraum für fürsorgliche und solidarische Lebensweisen.
Vom «Commoning» zum «Common Ground»
Den Überlegungen von Silvia Federici zufolge werden Kooperation und kollektive Entscheidungsfindung zum zentralen Element. Entsprechend sind urbane Gärten «Commons» und «Common Ground» zugleich. Der Begriff aus der Philosophie- und Sprachwissenschaft weist auf die gemeinsame Basis hin, die notwendig für zwischenmenschliche wie auch gesellschaftspolitische Aus- und Verhandlungen ist. Wie in einem Garten muss auch dieser Boden gemeinsam erarbeitet und gepflegt werden. Die Herausforderung dabei: Dieser Boden ist nie starr, sondern ständig in Bewegung.3 Denn «die Realität» als solche, die gibt es nicht. Ihre Wahrnehmung hängt von unserer Sozialisierung ab und davon, von welchem Standpunkt wir auf die Welt blicken.4 Auf diesen Aspekt gehen sowohl die Literaturwissenschaftlerin Hevin Karakurt als auch die Autorin Sarah Elena Müller in ihren Essays ein. Während Karakurt erläutert, wie unser Verständnis der Realität durch ungleiche Teilhabe oder gar durch Manipulation durch «alternative Fakten» zunehmend brüchig wird, schreibt Müller: «Es gibt keine unabhängige Wirklichkeit, der wir uns forschend annähern könnten, ohne selbst mit mindestens einem Fuss oder Huf drin zu stehen.» In ihrem Essay taucht ein*e Ich-Erzähler*in auf, der*die mit einer Ziege eins werden will. Ein (Gedanken-)Experiment, die menschliche Perspektive gar zu verlassen und sich mit anderen, mehr-als-menschlichen Lebewesen zu verbinden.
Unruhig bleiben
Die Beziehung zwischen menschlichen und mehr-als-menschlichen Wesen wird damit zum zentralen Aspekt. Beziehen wir unsere «Gefährten» mit ein, wenn es um die Verhandlung des «Common Ground» geht? An diese Frage knüpft Julia Grillmayr in ihrem Essay an. In Anlehnung an Donna Haraway erläutert die Kulturwissenschaftlerin, wie sich die Grenze zwischen «Natur» und «Kultur» – obwohl wir das immer wieder tun – überhaupt nicht ziehen lässt. Dafür nutzt Haraway den Begriff der «Naturkulturen»5; ohne Bindestrich geschrieben, sodass die Idee gar nicht erst aufkommt, es könnte sich um zwei getrennte Sphären handeln.
Dennoch räumen wir mehr-als-menschlichen «Gefährten» wenig Platz ein – weder auf dem Planeten, noch in unserem Denken. Wie sie diesen Platz trotz allem zurückfordern, zeigt Anna Lowenhaupt Tsing beispielhaft in ihrem Buch. In The Mushroom at the End of the World untersucht die US-amerikanische Anthropologin den japanischen Matsutake-Pilz, der sogar dort wächst, wo der organische Boden zerstört wurde, also inmitten «kapitalistischer Ruinen». Dort, wo er spriesst, bildet er – wie andere Pilzarten auch – ein unterirdisches Geflecht, das speziesübergreifende Verbindungen schafft, vielfältige «Entanglements», wie Lowenhaupt Tsing sie nennt. 6
In diesem Sinne steht das Wurzelgeflecht symbolisch für den Austausch, der entsteht, für die Gedanken, die gesponnen werden – während der Ausstellung und darüber hinaus. Doch das setzt voraus, dass wir den eigenen Standpunkt immer wieder infrage stellen und der Komplexität, die damit einhergeht, etwas Positives abgewinnen; dass wir den Mut haben, unruhig zu bleiben und unseren «Common Ground» grundlegend neu zu denken – immer und immer wieder.