Hanne Lippard

Haben zwei Menschen dieselbe Sicht auf eine Wolke, wenn sie am selben Ort stehen? Machen sie die gleichen Beobachtungen, spüren den gleichen Regen? Hanne Lippard nimmt in ihrer Soundinstallation Locus die Fragen subjektiver Wahrnehmung zum Ausgangspunkt eines sprachlichen Spiels. Rhythmisch umkreist die Stimme der Künstlerin eine intime Situation zwischen zwei Personen, die sich an einem Ort – einem «Locus» – begegnen. Zwei Lautsprecher, zwei Positionen und ein Text; einmal vorwärts, einmal rückwärts gesprochen. Auf einzigartige Weise bringt die Installation die individuelle Erfahrung desselben Moments zum Ausdruck. Wie viel Nähe oder gar Intimität erfordert es, mit einem Menschen in Kontakt zu treten und sich auszutauschen? Ist Nähe gleichbedeutend mit Konsens und Distanz gar mit Dissens? Reicht die Wahrnehmung des jeweils anderen Standpunkts, um eine vielschichtige Situation zu erfassen? Hanne Lippard verweist mit diesen Fragen auf die Verhandlung des «Common Ground», von geteilten Perspektiven, Meinungen und Werten.

Heute – rund zwölf Jahre nach der Entstehung des Werks – interpretieren wir ihre Fragen vor dem Hintergrund der Manipulation von Wirklichkeit und der gesellschaftlichen Fragmentierung in Teilöffentlichkeiten im sogenannten postfaktischen Zeitalter (siehe dazu: Nicola Gess, Halbwahrheiten. Zur Manipulation von Wirklichkeit. Berlin: Matthes & Seitz 2021). So kann der Grund, auf dem wir stehen, auch ins Wanken geraten.

Locus, 2011; Audio, Stereo